Die neu entdeckte Lust am Stromgeschäft

21.01.2011

Von Frank Werner

Rund 31500 Kilometer ist das Stromnetz von e.on Westfalen Weser lang, und wo Vorstandsvorsitzender Henning Probst in diesen Tagen auftritt, vergisst er nicht zu erwähnen, dass es eines der sichersten in Deutschland ist. Die spannende Frage indes lautet: Wie lang wird es am Ende des Jahres sein?

Die neu entfachte Lust der Kommunen, im Strom- und Gasgeschäft mitzumischen, unabhängiger von der Preispolitik der Branchenriesen zu werden, lokale Energiepolitik zu betreiben und die klammen Kassen durch Netzentgelte zu füllen, setzt die Konzerntochter mächtig unter Druck. Eine Ironie der Geschichte, denn der Regionalversorger entstand erst durch den Rückzug der Kommunen aus dem Energiegeschäft.

Inzwischen, nur zehn Jahre später, hat sich der Wind um 180 Grad gedreht. Städte und Gemeinden wollen den Ausstieg aus dem Ausstieg. Der heimische Strommarkt steht damit vor dem größten Wandel seit seiner Liberalisierung, die zum Verkauf von Wesertal und EMR geführt hat.

In den nächsten Monaten fällt in vielen Rathäusern die Entscheidung über die Vergabe der Stromkonzession (das Wegerecht für Leitungen). In Hameln-Pyrmont und im südlichen Schaumburg, im Gebiet des Alt-Versorgers Wesertal, laufen fast alle der auf 20 Jahre angelegten Verträge Ende des Jahres aus. Städte und Gemeinden stehen vor der Frage, ob sie mit e.on Westfalen Weser verlängern, Konkurrenten wie RWE den Vorzug geben oder selbst in das lukrative Stromgeschäft einsteigen – indem sie eigene Stadtwerke zum Zuge kommen lassen oder mit Partnern eine mehrheitlich kommunale Netz GmbH gründen. Hinter den Kulissen ist der Kampf um die Netze voll entbrannt.

„Wir haben keine Angst vor dem Wettbewerb“, präsentierte sich Probst schon vor Wochen in Kämpferlaune. Das Paderborner Unternehmen hofft, aus dem Konzessionspoker als Gewinner hervorzugehen und Verluste in strukturschwächeren Gebieten (also im Weserbergland) durch Zugewinne in stärkeren Regionen (wie Ostwestfalen) mehr als aufzuwiegen.

Längst hat auch die Konzerntochter (zu 62,8 Prozent in e.on-Hand) die Zeichen der Zeit erkannt: Die Politik der letzten Jahre, der schleichende Rückzug aus der Fläche, gilt intern als strategischer Fehler. „Immer stärker wird die kommunale und regionale Prägung von e.on Westfalen Weser wahrgenommen“, verkündet Probst in einer Pressemitteilung – der Versuch, den Imageschaden zu reparieren und aus dem Schatten des Konzerns, der mehr Interesse für seinen Aktienkurs als für regionale Verwurzelung aufbringt, hervorzutreten.

Und so schießen im Netzgebiet von e.on Westfalen Weser plötzlich „Netzshops“ wie Pilze aus dem Boden, starten Pilotprojekte mit intelligenten Zählern und Ortsnetzstationen in den Gemeinden und kümmern sich „Kommunalbetreuer“ rührig um die Sorgen der Kommunen. Was sich die Netzbetreiber derzeit liefern, ist ein Überbietungswettbewerb in regionalem Engagement – eine durchaus komfortable Situation für die Kommunen.

Die Weichen bereits gestellt hat die Stadt Holzminden. Einmütig votierte der Rat im vorigen Jahr dafür, das Stromnetz ab 2012 über die Stadtwerke Holzminden, eine 100-prozentige Tochter der Stadt, zu betreiben. Für die Befürworter des kommunalen Weges ein Fanal: Es ist die erste Schlacht, die e.on Westfalen Weser im eigenen Netzgebiet verloren hat.

In Hameln könnte die nächste folgen. Ebenso wie in Rinteln und Bad Pyrmont stehen die eigenen Stadtwerke als Netzbetreiber in der Kernstadt noch nicht im Wettbewerb. Aber die Stadt vergibt die Konzession für das Netz in den Ortsteilen, und die eigene Stadtwerke-Tochter bewirbt sich. Die Chancen für e.on Westfalen Weser stehen nicht übertrieben gut.

Auch in Hessisch Oldendorf läuft Ende des Jahres die Stromkonzession aus. Fest steht, dass es keinen neuen Vertrag in alter Form geben wird: Die Stadt will eine Netz-Gesellschaft mit kommunaler Mehrheit gründen, steckt Bürgermeister Harald Krüger die Marschroute ab. Als Partner bewerben sich hier e.on Westfalen Weser, die Stadtwerke Rinteln, die Stadtwerke Hameln und der Konzernriese RWE. In Kürze sollen die Bewerber ihre Modelle präsentierten, im Sommer will der Rat entscheiden.

Bis Sommer wollen auch Aerzen, Emmerthal, Coppenbrügge und Salzhemmendorf eine Richtungsentscheidung treffen. Die vier Kommunen haben sich zusammengetan, um gemeinsam nach einem Konzessionär zu suchen. Hauptkonkurrent von e.on Westfalen Weser sind hier neben den Stadtwerken Hameln die Stadtwerke Weserbergland, die im März 2009 als kommunaler Partner für die Landgemeinden in Hameln-Pyrmont und Schaumburg gegründet wurden.

Erfolge kann das Ziehkind der Stadtwerke Hameln und Rinteln bereits im Vertrieb vorweisen: Nach eigenen Angaben hat man im Netzgebiet von e.on Westfalen Weser rund 3500 Strom- und Gaskunden gewonnen und damit im Umland Hamelns einen Marktanteil von zehn Prozent erzielt. Im Wettstreit um die Netze werben die neuen Stadtwerke damit, „die gesamte Wertschöpfung in der Region zu belassen“, wie Geschäftsführer Helmut Feldkötter nicht müde wird zu betonen. Das Manko der Neugründung aber liegt in der geringen Kapitaldecke: Einen Netzkauf müssten die Gesellschafter stemmen.

Der Plan, die Umland-Gemeinden zu Gesellschaftern zu machen, ist nur zum Teil aufgegangen. Während Coppenbrügge und Salzhemmendorf je zehn Prozent Anteile erworben und damit ein frühes Bekenntnis zu den Stadtwerken Weserbergland abgelegt haben, halten sich Aerzen und Emmerthal zurück. „Wir wollten die Konzessionsvergabe bewusst offenhalten“, begründet Emmerthals Bürgermeister Andreas Grossmann. Gleichwohl streben die vier Flächen-Kommunen eine „einheitliche Lösung“ an, wollen „keinen Flickenteppich“ entstehen lassen.

Von den ehemals sieben Interessenten sind noch vier im Rennen: e.on Westfalen Weser, die Stadtwerke Hameln und Weserbergland mit einem kombinierten Angebot, RWE und Alliander NV, der größte Strom- und Gasnetzbetreiber der Niederlande, der in der Hand holländischer Provinzen und Kommunen ist.

Auch im Auetal stehen die Zeichen auf Kommunalisierung: Hier treten die Stadtwerke Rinteln und Weserbergland gegen den Paderborner Versorger an (der Bewerber RWE ist ausgeschieden). Dass die Gemeinde ebenfalls Gesellschafter der Stadtwerke Weserbergland und Bürgermeister Thomas Priemer profilierter Fürsprecher eines kommunalen Engagements ist, darf als Indizienkette für den Ausgang des Verfahrens gelten. Der Gemeinderat soll im Sommer entscheiden.

Aber es gibt auch andere Beispiele. Die Stadt Rodenberg etwa hat sich bereits entschieden, den Vertrag mit e.on Westfalen Weser zu verlängern. Selbst in den Markt einsteigen wollte die Stadt nicht: „Wir wissen, was wir können, aber auch, wann wir uns übernehmen“, sagt Samtgemeindebürgermeister Uwe Heilmann. Stadtwerke als mögliche Partner hätten sich nicht beworben, nur Konkurrenten wie RWE.

Ohne Stadtwerke-Konkurrenz hat e.on Westfalen Weser auch in den Rodenberger Gemeinden Apelern und Pohle gute Chancen auf die Konzession. Für andere Landgemeinden Schaumburgs und Holzmindens kann Unternehmenssprecher Michael Wippermann bereits Vollzug melden: In Beckedorf und Lüdersfeld sowie in Boffzen und Eschershausen habe man neue Verträge abgeschlossen.

In der Samtgemeinde Bodenwerder-Polle (in der einheitlich entschieden werden soll) ist das Rennen noch offen, aber auch hier befinden sich keine Stadtwerke im Bieterverfahren: e.on Westfalen Weser tritt gegen RWE, den Wasser- und Energieversorger Gelsenwasser und den internationalen Umwelt-, Verkehrs- und Energiekonzern Veolia an. Bürgermeister Joachim Lienig bedauert, dass keines der benachbarten Stadtwerke ins Verfahren eingestiegen ist: „Für die Kommunen eröffnet der Energiemarkt neue Chancen.“

Aber im einwohnerschwachen ländlichen Raum liegen auch die Grenzen des öffentlichen Engagements. Nicht jedes örtliche Stromnetz überspringt die Wirtschaftlichkeitsschwelle. Nicht umsonst wirbt e.on Westfalen Weser in den Verhandlungen mit der Praxis der Quersubventionierung im eigenen Netzgebiet, die das Gefälle zwischen strukturstarken und -schwachen Regionen ausgleicht und einheitliche Netzentgelte ermöglicht.

In den nördlichen und westlichen Teilen Schaumburgs, dem ehemaligen Versorgungsgebiet des Elektrizitätswerks Minden-Ravensberg (EMR), laufen die Konzessionsverträge meist erst später aus, in Bückeburg zum Beispiel erst 2014. Im alten EMR-Gebiet verfügt die e.on-Tochter ohnehin über gute Karten im Vertragspoker. Viele der Städte und Gemeinden halten Mini-Anteile am Versorger, der wiederum zu 15,6 Prozent an den Stadtwerken Schaumburg-Lippe beteiligt ist. Echter Konkurrenzkampf sieht anders aus.

Die alten Wesertal-Gesellschafter dagegen, die Landkreise Hameln-Pyrmont, Schaumburg, Lippe und Holzminden, haben ihre Anteile vor über zehn Jahren dem finnischen Konzern Fortum vermacht, der mit angeblich gefüllter „Kriegskasse“ von Hameln aus den deutschen Markt aufrollen wollte.

Im Klima der Liberalisierung konnte es nicht schnell genug gehen, die kommunalen Energieanteile zu versilbern. Wie schnell sich die Dinge ändern. „Der Verkauf von Wesertal war ein Fehler, und der eine oder andere Verantwortliche von damals sieht das heute auch ein“, sagt Bodenwerders Bürgermeister Joachim Lienig.

Showdown auf dem heimischen Energiemarkt. Fast überall in Hameln-Pyrmont und im südlichen Schaumburg laufen Ende des Jahres die Konzessionsverträge für die Stromnetze aus. Kommunale Stadtwerke sagen e.on Westfalen Weser den Kampf an, wollen die Netze selbst oder gemeinsam mit den Gemeinden übernehmen. Die Liberalisierung des Strommarktes war gestern – heute heißt das Zauberwort „Re-Kommunalisierung“. Der e.on.-Tochter könnte es mancherorts zum Verhängnis werden.

In diesem Jahr fallen die Würfel: Städte und Gemeinden entscheiden, wer das örtliche Stromnetz übernehmen soll. Für viele Kommunen die Gelegenheit, gemeinsam mit Stadtwerken selbst in den Markt einzusteigen und Netzentgelte in die eigene Kasse fließen zu lassen.

 

© Schaumburger Zeitung, Foto: Dana, 21.01.2011