Trotz Fukushima wechseln nur wenige zum Ökostrom

29.04.2011

Gestiegenes Interesse auch bei heimischen Versorgern – aber viele Kunden wollen teureren Tarif nicht bezahlen

Weserbergland (ni). Die großen Ökostromanbieter in Deutschland jubeln im Chor: Noch nie war der Run auf ihr Produkt so groß wie nach dem Reaktorunfall in Fukushima. Bundesweit erteilten Zehntausende von Verbrauchern dem Atomstrom binnen weniger Wochen eine Absage und wechselten zu der umweltfreundlichen Alternative. Eine gestiegene Nachfrage nach Strom aus erneuerbaren Quellen verzeichnen die heimischen Versorger zwar auch. Doch gemessen an der Zahl ihrer Kunden, führt die Fraktion der Ökostromabnehmer bei ihnen bis heute lediglich ein Schattendasein.

Wer bei der Düsseldorfer Naturstrom AG anruft, landet zurzeit in der Warteschleife. Die höfliche Stimme vom Band bittet um Geduld und Verständnis: Das Interesse an Strom aus Wasserkraft, Sonne und nachwachsenden Rohstoffen sei seit der Atomkatastrophe so groß, dass alle Leitungen besetzt seien. „In den ersten drei Wochen nach Fukushima hatten wir wöchentlich 10000 neue Kunden, danach ist es auf hohem Niveau etwas weniger geworden“ und sei die Zahl in der ersten Aprilhälfte auf 7500 gesunken, erklärt Unternehmenssprecher Dr. Tim Loppe den temporären Engpass bei der Telefonanlage des Hauses. Nach wie vor verzeichne das Unternehmen Zuwächse, „die deutlich über den Zahlen von Februar und Anfang März liegen“.

Anders als bei „Naturstrom“, die ausschließlich Strom aus regenerativer Energie anbietet, ist Ökostrom bei den Stadtwerken Hameln, Pyrmont, Rinteln und Weserbergland nur ein Produkt neben dem Normalstrom; und obendrein eines, das nur eine kleine Fangemeinde anspricht. Von den rund 28600 Privatkunden der Stadtwerke Hameln hatten bis Februar lediglich 150 die Option „natur.strom“ gewählt und dafür einen Aufpreis von 1,5 Cent pro Kilowattstunde in Kauf genommen. Inzwischen sind es 180 und ist ihr Anteil von 0,52 auf gerade mal 0,62 Prozent gestiegen. Mehr als doppelt so hoch liegt die Quote der Ökostrom-Kunden bei den Stadtwerken Weserbergland. Vor Fukushima machte sie 1,16 Prozent aus, jetzt liegt sie bei 1,7 Prozent. Jens Kaufhold wäre über solche Zuwachsraten schon erfreut. Dass Kunden in den teureren Ökostrom-Tarif wechseln, „ist bei uns leider kein Thema“, sagt der kaufmännische Prokurist der Stadtwerke Bad Pyrmont und muss sich vorerst weiter mit 25 Abnehmern bescheiden. Er hat zwar mehr Anfragen registriert, aber auch genau so oft „Nein Danke“ gehört, wenn es um den Preis ging. Kaufhold: „Die Leute sind nicht bereit, mehr zu zahlen.“

In Rinteln gehen die Uhren offenbar anders. Von 30 auf 80 ist die Zahl der Ökostrom-Kunden bei den Stadtwerken in den vergangenen Wochen gestiegen, „und täglich kommen neue Anfragen rein“, freut sich Vertriebsleiter Thomas Rinnebach. Preisbewusst sind „Wechsler“ allerdings auch. Das Produkt „energreen“, das sich aus Solarenergie, Windenergie, Biomasse, Wasserkraftwerke und Geothermie zusammensetzt, verschmähen sie, weil die Kilowattstunde vier Cent mehr kostet als der Normalstrom. Den „Trend-Strom“ aus schweizer Wasserkraftwerken leisten sie sich; der ist nur 0,5 Cent teurer und schlägt sich bei einem Jahresverbrauch von 3000 kWh in der Endrechnung lediglich mit 15 Euro nieder. Nur 30 Öko-Kunden sind bereit, auch vier Cent draufzulegen, um mit dem Aufschlag ihre heimischen Stadtwerke bei der Investition in weitere Photovoltaikanlangen zu unterstützen.

Auch e.on hat ein Öko-Produkt im Angebot: Strom aus Wasserkraft. Doch wie viele Kunden in der Region der Energiekonzern und Atomkraftwerksbetreiber damit versorgt, ist nicht zu erfahren. „Konkrete Zahlen rücken wir nicht raus“, sagt Edgar Schrören von e.on Westfalen Weser mit Hinweis auf die „verschärfte Wettbewerbssituation in Hameln“. Ob die Reaktorkatastrophe in Japan und die Diskussion über Atomausstieg und Energiewende den Konzern Kunden gekostet hat, verrät er ebenfalls nicht.

Dass die Abneigung der Deutschen gegen Atomenergie weit verbreitet ist, hat eine repräsentative Umfrage von Forsa im Auftrag der Umweltorganisation Germanwatch gezeigt. Danach wünschten sich 90 Prozent einen schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien und sprachen sich nur 34 Prozent für den Weiterbetrieb der Kernkraftwerke aus. 73 Prozent meinten, Deutschland sollte auch dann in den beschleunigten Ausbau regenerativer Energien investieren, wenn sich dadurch die Preise erhöhen. So viel gute Absicht aus diesem Umfrageergebnis auch abzulesen ist: Zwischen Willensbekundung und Tat tut sich offenbar ein tiefer Graben auf, denn die Möglichkeit, auf zertifizierten Ökostrom umzusteigen und damit den Ausbau der Erneuerbaren zu fördern und den Anteil des Atomstroms zurückzudrängen, kann jeder Verbraucher heute schon nutzen. Nur wenige tun es tatsächlich.


© Schaumburger Zeitung, 29.04.2011