Am Anfang war die Scheune

12.06.2014

Wie Solartechnik die öffentlichen Räume erobert hat

Langsam flaut der Solar-Boom in unserer Region ab. Nach drei Rekordjahren hat sich jetzt die Verringerung der Photovoltaik-Vergütung ausgewirkt. Wirtschaftlich sinnvoll sind neue Solaranlagen heute vor allem dann, wenn ein möglichst großer Teil des Stroms direkt verbraucht wird. Sowohl im Privathaushalt als auch bei großen Unternehmen hat sich dieses Konzept durchgesetzt. Wir haben einen Blick auf die Situation in unserer Region geworfen und alle Fakten zusammengetragen.

Wie man unschwer bei einer Fahrt durch unsere Region sehen kann, waren es vor allem Landwirte, die mit Beginn des Solarbooms, in den Zeiten der Goldgräberstimmung ihre Dächer mit Solarmodulen zugepackt haben. „Solarscheune“ ist zu einem feststehenden Begriff geworfen.

Danach folgten die Dächer öffentlicher Gebäude, die ersten Bürgersolaranlagen auf Gebäuden wie Schulen in Rinteln, Bückeburg und Hameln.

Dann kam Strom von der Wiese. Ein logischer Schritt, weil große Dächer, also Dächer die über das Format von Ein- oder Mehrfamilienhäusern hinausgehen nun einmal nicht unendlich vermehrbar sind.

Überall in den Landkreisen Schaumburg und Hameln-Pymont sind Solarparks von privaten Investoren gebaut worden, derzeit noch in Planung oder in Arbeit. Hier der Stand der Dinge:

Rinteln: Das Modell einer Bürgersolaranlage auf der grünen Wiese ist nur von den Stadtwerken in Rinteln verwirklicht worden. Die Anlage ging im Dezember 2011 in Deckbergen ans Netz. Neben der Bürgersolaranlage der Stadtwerke setzte ein Investor aus Höxter auf rund 2,5 Hektar Fläche weitere Kollektoren in den Boden. Als Großanlage gilt in Rinteln noch die Solaranlage auf dem Aldi-Lager im Industriegebiet Süd.

Hameln: Die Planung für einen neuen großen Solarpark auf dem ehemaligen Gelände der Briten, dem „Ravelin Camp“ ist abgeschlossen. Der Bebauungsplan liegt inzwischen aus. Für den großen neuen Solarpark in Afferde-Hilligsfeld hat der Rat in Hameln bereits im April grünes Licht gegeben.

Hessisch Oldendorf: In Hessisch Oldendorf hat ein privater Investor vor rund zwei Jahren gerade noch rechtzeitig vor der Änderung der Einspeisevergütung zwei große Solarparks fertiggestellt. Einen auf dem Gelände an der alten Zuckerfabrik, den Zweiten in Fischbeck im Bereich des Outlet-Marktes.

Sachsenhagen: Im Gewerbegebiet an der Kanalstraße und gegenüber der Feuerwehr betreibt ein Investor zwei große Anlagen auf zusammen 32000 Quadratmetern Fläche. Der dort erzeugte Strom geht an e.on Westfalen Weser.

Bad Nenndorf: Hinter einem Lebensmitteldiscounter an der Gehrenbreite ist auf einem Areal von 50000 Quadratmetern zwischen Bahnlinie und Gewerbegebiet eine große Solaranlage in Betrieb. Weitere Anlagen sind derzeit nicht geplant.

Experten bei den Stadtwerken gehen davon aus, dass der Boom für Strom von der Wiese in unserer Region inzwischen abgeflacht ist. So sieht es auch Edgar Schroeren, Pressereferent von E.on Weser.

Warum das so ist, präzisiert Natalie Schäfer, Marketingleiterin bei den Stadtwerken Hameln: „2013 stieg der Anteil der Erneuerbaren Energien am Brutto-Stromverbrauch auf 25,4 Prozent. Die Stromerzeugung aus Photovoltaik erreichte dabei rund fünf Prozent des Brutto-Stromverbrauchs. Nach drei Rekordjahren hat sich dann die Verringerung der Photovoltaik-Vergütung ausgewirkt. Damit ist der Zubau an Photovoltaik-Leistung gegenüber dem Vorjahr um mehr als die Hälfte auf 3.305 Megawatt zurückgegangen. Diese Verringerung war vom Gesetzgeber gewollt, da die Ausbauziele der Photovoltaik weit übertroffen waren – unter anderem durch Ware aus China, die die Modulpreise stetig sinken ließen.“

Schäfer rechnet vor: „Waren noch vor rund fünf Jahren je nach Anlagengröße und -bauart über 30 bis 40 Cent je Kilowattstunde Einspeisevergütung die Regel, werden heute für Anlagen, die im Juni 2014 in Betrieb gehen, je nach Anlagengröße und -bauart zwischen 9,01 und 13,01 Cent je Kilowattstunde für die kommenden 20 Jahre vergütet. Rechnet man heute einen durchschnittlichen Kilowattstunden-Preis von 25 bis 26 Cent netto gegen, sind Freiflächen nicht mehr lohnenswert, selbst ohne einen Pachtzins.“

Dennoch, sagt die Hamelner Marketingleiterin, lassen sich PV-Anlagen sinnvoll wirtschaftlich betreiben, „nämlich dann, wenn der erzeugte Storm auch selbst verbraucht wird. Wichtig ist, das optimale Verhältnis zwischen der Anlagengröße und dem eigenen Benutzer- und Verbrauchsprofil zu finden“.

Auch der Gesetzgeber dreht weiter an den Stellschrauben: Spätestens 2017 soll die EEG-Förderhöhe nicht mehr gesetzlich festgelegt, sondern per Ausschreibung ermittelt werden. Zudem sollen Betreiber neuer Anlagen den Ökostrom zu 100 Prozent direkt vermarkten.

Seit die Einspeisevergütung allein keine Garantie mehr für schwarze Zahlen ist, sucht man in der Branche nach neuen Modellen, bei denen sich mehrfacher Nutzen einstellt.

In Dörentrup kann man so ein Modell bewundern: eine Solaranlage auf einer verfüllten Hausmülldeponie, genial deshalb, weil diese Fläche ohnehin zu nichts anderem mehr zu nutzen ist. Die Abdichtung ist außerdem ein Plus, denn dadurch wird das Sickerwasser deutlich reduziert, das aufwendig und damit kostenintensiv gereinigt werden muss.

Verwirklicht hat das Konzept die „Lippe Energie Photovoltaik Deponie Dörentrup“. Auch die Stadtwerke Rinteln sind hier mit im Boot.

Solar auf Müll stellt besondere Herausforderungen an die Konstrukteure und Planer: Anders als Wiesen- und Ackerflächen sackt der Deponiekörper langsam in sich zusammen. Das muss bei der Unterkonstruktion bedacht werden. Deshalb sind in Dörentrup die Solarmodule nicht offen aufgestellt, sondern bilden eine geschlossene Fläche, darum herum verläuft eine Regenrinne, die das Oberflächenwasser ableitet. Eine Konstruktion, die im Winter auch mögliche Schneelasten aushalten muss. 22 111 Solarmodule liegen auf der Abdeckung, die Strom für über 900 Haushalte produzieren. 30 Jahre lang, so der Plan, soll die Anlage laufen.

„Lokal autark“ ist eine weitere Entwicklung, die nicht nur in Rinteln und in Hameln an Fahrt gewinnt, sie ist inzwischen auch längst Thema bei den großen Konzernen RWE und E.on und der Politik, vor allem, seit auch Industrieunternehmen beginnen, eigenen Strom zu erzeugen, nämlich dort, wo er gebraucht wird. Bei diesen neuen Konzepten zählt der bisherige Kostenvorteil der zentralen Energieversorgung nicht mehr, weil ihn der teure Netzausbau auffrisst. Beispiel BMW: Seit vorigem Jahr speisen in Leipzig vier 2,5-Megawatt-Windenergieanlagen den erzeugten Strom direkt ins Werksnetz ein.

Auch für die private Solaranlage auf dem Dach gilt inzwischen: Den selbsterzeugten Strom auch selbst verbrauchen macht Sinn. Solaranlagen zur Stromerzeugung werden immer billiger. Damit ist die sogenannte Netzparität erreicht: Der Strom vom Dach kostet Endverbraucher weniger als der gekaufte.

Ein wesentliches Problem besteht beim Selbstverbrauch allerdings – noch: Solarstrom wird nicht immer dann erzeugt, wenn er gerade gebraucht wird. Noch ist es zu teuer, den Strom im eigenen Haus zu speichern. Doch das wird sich mit neuen technischen Entwicklungen ändern.

Die Entwicklung geht weiter. Längst basteln Ingenieure an einer Solarfolie zum Aufkleben. Ultradünne Häute, die nicht auf Silizium basieren, wie herkömmliche Anlagen, sondern auf Kunststoffen. Folien, die sich auf Fassaden kleben lassen, vielleicht sogar bald auf Fenster, Autos und die Kleidung. Das ist zurzeit zwar technisch noch nicht so weit ausgereift, dass es für den Massenmarkt tauglich ist, aber die Entwicklung steht ja erst am Anfang. Auch die Handy-Technologie hat einmal klein angefangen.

Ein weiterer Trend ist die Entwicklung von Photovoltaik-Großkraftwerken. Groß heißt groß, dagegen sind auch heimische Solarparks Zwerge.

Es ist noch nicht lange her, da hielt der Großkonzert RWE Solarenergie bei uns so sinnvoll wie Ananaszucht in Alaska, wie der Spiegel berichtetet. Inzwischen baut der Versorger sogar im regnerischen Großbritannien ein großes Solar-Kraftwerk. Und der internationale Dienstleistungskonzern TÜV SÜD (München) hat jüngst ein Photovoltaik-Kraftwerk der Green Vision Seven SRL im rumänischen Ucea de Sus zertifiziert. 

© Schaumburger Zeitung, 12.06.2014