Wenn es nicht anders geht, dann kommt er

08.04.2015

Mahnabteilung Stadtwerke: Oft hat Dieter Leibig noch eine Lösung, bevor der Strom abgestellt wird

Rinteln. Die Abrechnungen für Strom, Gas und Wasser sind bei den Stadtwerken raus und längst bei den Kunden angekommen. Die kennen ihre monatlichen Pauschalen, die sie in diesem Jahr neu zahlen müssen. Doch Bürger in finanziellen Notlagen machen oft mit den Stadtwerkeabrechnungen das, was sie auch mit all ihren anderen Rechnungen tun, die sie nicht zahlen können. Sie legen die Briefe ungeöffnet ins Regal, stecken den Kopf in den Sand, jeder Schuldnerberater beim Diakonischen Werk kennt das. Bei den Stadtwerken ist das dann ein Fall für Dieter Leibig.

Leibig ist Außendienstmitarbeiter der Abteilung „Mahnwesen“ und hat seinen Schreibtisch am Bahnhofsweg. Leibig klingelt bei Stadtwerkekunden dann an der Haustür, wenn schon „Alarmstufe Rot“ ausgerufen, die übliche Mahnroutine ausgereizt ist und das sogenannte „Sperrverfahren“ anläuft. Das heißt, Leibig kommt persönlich, wenn eine freundliche schriftliche Zahlungserinnerung nichts gebracht hat, wenn eine Mahnung erfolglos war, wenn sich der Kunde einfach nicht mehr meldet.

Bis Leibig kommt, hatte ein Kunde nach der ersten Zahlungserinnerung immerhin gut sechs Wochen Zeit, um zu reagieren, das heißt, bei den Stadtwerken anzurufen und zu sagen: „Helft mir, lasst uns reden, ich habe ein Problem.“

Auch wenn Leibig schon an der Haustür steht, kann man noch verhandeln, denn er ist ein Mensch, der weiß, wie schief es im Leben manchmal laufen kann, wenn der Job weg ist oder der Ehemann, die Lebensgefährtin, wenn man krank wird, die Rente nicht reicht, die Geschäfte schlecht gehen, die Kunden wegbleiben. Leibig erlebt dabei immer wieder: „Meistens sind Schulden bei den Stadtwerken nur ein Loch von ganz vielen, die der Betroffene stopfen muss, aber nicht mehr kann.“

Zeigt der Kunde Kooperationsbereitschaft, gibt sich Leibig dann auch alle Mühe, das schlimmste aller Szenarien, nämlich Strom aus, zu vermeiden. „Wenn da eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern vor mir steht, die ihr Lebensgefährte einfach im Stich gelassen hat, helfe ich auch über meinen Job hinaus, nehme beispielsweise Kontakt mit dem Jobcenter auf, sage der Frau, wo sie in ihrer Situation Hilfe holen kann, beispielsweise bei der Schuldenberatung der Diakonie. Oft finden wir dann mit dem Jobcenter gemeinsam eine Lösung.“

Dabei haben die Stadtwerke als kommunales Unternehmen erheblich mehr Geduld als die freien Stromanbieter auf dem Markt. Die drehen ihren Kunden nämlich oft schon den Strom ab, wenn die zweite Monatsvorauszahlung nicht auf ihrem Konto eingetroffen ist. Doch auch bei den Stadtwerken ist irgendwann Schluss, das Ende der Fahnenstange erreicht.

Wo ist also die rote Linie? Leibig sagt das komme ganz auf den Fall an, das könne man so pauschal nicht sagen: „Es gibt Kunden, da werde ich ab einem Fehlbetrag von 300 bis 400 Euro tätig, es gibt aber auch Kunden, da werde ich hellhörig, wenn die zweite Vorauszahlung über 30 Euro nicht geleistet worden ist. Dann weiß ich, da ist Handlungsbedarf.“

Rein technisch gibt es mehrere Möglichkeiten, die Leitung zum Komfort, sprich Fernsehen, heiße Dusche, Kühlschrank, Heizung und Herd zu kappen. Leibig kann die Sicherungen herausdrehen und stattdessen sogenannte Sperrsicherungen einbauen. Oder er kann den Hauptschalter sperren und mit einem Spezialwerkzeug verschließen.

Selbst in einem solchen Fall hat der Kunde noch eine Option: Leibig oder ein Stadtwerketechniker können einen elektronischen Cashzähler anbringen. Dazu erhält der Kunde eine Karte, die er bei den Stadtwerken aufladen lassen kann. Es funktioniert gewissermaßen wie bei einem Prepaid-Handy: der Strom kommt, solange Guthaben auf der Karte ist. Noch ist dies allerdings Zukunftsmusik, denn auch Datenschützer haben da noch ein Wort mitzureden, aber technisch wäre es heute schon möglich, den Strom einfach per Funk abzustellen.

Dann gibt es die besonders Schlauen, die Dickfälligen, die überzeugt sind, wenn sie dem Stadtwerkemitarbeiter einfach nicht aufmachen, dann könnte bei ihnen auch nicht der Strom abgeklemmt werden. Ein Irrtum. Bei einem besonders unbelehrbaren Kunden, der nie anzutreffen war, sich nie gemeldet hat, ließ Leibig die Techniker mit einem Hubwagen anrücken, und die unterbrachen dann die Stromzufuhr schlicht an der Hauptleitung.

Auch finanziell kann es bitter werden, wenn ein Gläubiger absolut stur bleibt. Als wirklich allerletzten Schritt, sagt Leibig, treten wir die Forderung an den Inkassodienstleister „Creditreform“ ab. Die Stadtwerke fordern keine Zinsen – die Firma Creditreform schon.

Es sind beileibe nicht nur Hartz-IV-Empfänger, die es mit dem Mahnwesen der Stadtwerke zu tun bekommen. Auch Gewerbebetriebe können in finanzielle Schieflage geraten. Man kann es sich leicht ausrechnen: Kühlanlagen, Werkräume, Gasträume, die Maschinentechnik – Strom muss fließen, damit der Betrieb läuft, das summiert sich. Leibig erlebt es dann vor Ort: „Diese Betriebe müssen jeden Tag gegen die laufenden Kosten ankämpfen“. Und dann hat er junge Leute unter seinen Kunden, die ihre finanziellen Möglichkeiten völlig überschätzt haben, staunen, dass auch der Stand-by-Modus den Stromzähler laufen lässt.

Es gibt kaum Lebensumstände, die Leibig noch überraschen könnten. Da öffnet ihm jüngst ein 20-Jähriger die Tür, halb verschlafen und sagte entschuldigend: „Tut mir leid, ich muss mich eben noch schminken.“

Leibig war schon in der Wohnung von Messies, da stapelte sich der Müll bis zur Haustür. Auf einem Resthof öffnete ein Senior nicht, obwohl er sonst beim ersten Klingeln da war. Leibig schaute sich deshalb auf dem Hof um und sah den Mann hinter einer zerbrochenen Scheibe auf dem Boden liegen. Er alarmierte Polizei und Notarzt, aber der Mann war bereits tot. „Seitdem“, sagt Leibig, „schaue ich bei alleinstehenden Senioren immer rund ums Haus und schaue nach Ungewöhnlichem, wenn mir jemand nicht die Tür öffnet, obwohl er eigentlich da sein müsste.“

© Schaumburger Zeitung, 08.04.2015