Um Mitternacht das Schleuderprogramm

28.08.2015

Bei den Stadtwerken liegen „intelligente“ Stromzähler schon im Magazin

Rinteln. Er ist schwarz und hat eine Drehscheibe, die verrät, irgendwo im Haus brennt Licht und die Spülmaschine läuft. Der Ferraris-Zähler ist der klassische „Stromzähler“. Eine rotierende Scheibe zeigt durch ihre Rotationsgeschwindigkeit die Momentanleistung an, ein mechanisches Zählwerk die verbrauchte Energie. Der Ferraris Stromzähler, der meist im Keller oder Hausflur seinen Dienst tut, ist preiswert, solide, hält 16 Jahre und die Bürger haben sich daran gewöhnt. Doch wenn es nach dem Wirtschaftsministerium geht, soll alles anders werden und bis zum Jahr 2032 in die Keller und Hausflure Hightech einziehen – genannt Smartmeter oder als weitergehendes System Smart Grid.

Smartmeter, die elektronischen Zähler, liegen bei den Stadtwerken am Bahnhofsweg längst griffbereit im Magazin. Auch das Fernauslesen von Zählern, wie es der Smartmeter ermöglicht, ist bei den Stadtwerken längst erprobte Alltagspraxis. Die wird vor allem bei Industriebetrieben und bei Fotovoltaikanlagen gebraucht, um – vereinfacht gesagt – die Stromlast zu steuern und beispielsweise Wärmepumpen ein- oder auszuschalten. Doch Smartmeter für alle privaten Verbraucher sind da eine ganz andere Hausnummer.

Thomas Sewald, technischer Leiter bei den Stadtwerken, erläutert die grundsätzliche Idee dahinter: Eine Spülmaschine oder Waschmaschine soll erst anlaufen, wenn viel Strom verfügbar und Strom damit billig ist. Also nicht am frühen Morgen, wenn ganz Rinteln die Kaffeemaschine startet, unter die Dusche steigt und das Frühstücksfernsehen einschaltet, besser am Nachmittag. Sewald formuliert das so: „Der Nutzer soll dem Angebot an Strom folgen“. Die größten Bedenken, schildert Sewald, hatte man bisher beim Datenschutz. Sicherheitsexperten wie Mitgliedern des Chaos Computer Clubs ist es mehrfach gelungen, intelligente Stromzähler zu hacken. Die Hacker haben dann unter anderem süffisant gefragt, welcher Tätigkeit geht wohl eine Frau nach, deren Heißwassergerät abends im Halbstunden-Rhythmus Strom verbraucht? Was man aus dem Smartmeter problemlos auslesen kann.

Doch diese Sicherheitslücken in der Software sollen laut Sewald inzwischen geschlossen, die Technik „sicher wie der EC-Kartenautomat“ sein. Das sei „technisch extrem aufwendig.“ Und inzwischen gibt es auch Gateways für komplexere Systeme, die sicherstellen, dass die intelligenten Zähler mit den Haushaltsgeräten kommunizieren können. Denn die Waschmaschine, der Trockner muss wissen, wann Strom wie viel kostet und sich dann ein- oder ausschalten. Ein großer Gerätehersteller stattet bereits seine Geräte mit einem Kommunikationsmodul aus, das mit den Strompreisen gefüttert wird oder sich die Informationen per W-LAN selbst abholt – danach bestimmt das Gerät, wann es mit der Arbeit loslegt.

Doch auch das hat seine Tücken: Wer will schon, dass die Waschmaschine ausgerechnet um Mitternacht im Badezimmer das Schleuderprogramm anlaufen lässt. Da steht man nebenan senkrecht im Bett.

Für Sewald ist es, jenseits aller technischen Machbarkeit, auch eine entscheidende Frage, wie schnell und wie weit sich Bürger für diese Technik begeistern können. Denn Smart Grid heißt auch auf Deutsch: Lässt sich ein Bürger darauf ein, hat das Folgeinvestitionen. Der Haushalt wird technischer, komplizierter, womit die nächsten Probleme auftauchen. Stichwort Softwareupdate. Sewald hat Zweifel, ob sich beispielsweise Senioren damit noch zurechtfinden.

Und die Sache hat noch einen großen Haken, sagt Sewald: „Damit das Ganze funktioniert, brauchen wir ein Preissystem, das stündlich Strom abrechnen kann. So weit sind wir aber noch nicht“. So sieht es übrigens auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Statt einer Einbauverpflichtung hätte das Wirtschaftsministerium besser erst einmal andere Probleme angehen müssen, wie beispielsweise eben die Einführung variabler Tarife.

© Schaumburger Zeitung, 28.08.2015